Straßennamen dienen in unserer Gesellschaft in zweierlei Hinsicht als Wegweiser: Zum einen helfen sie uns bei der geographischen Orientierung, zum anderen bei der Orientierung in unserer Geschichte. Straßen und Plätze werden explizit nach bedeutenden Orten und Personen der Vergangenheit benannt, um sie zu ehren. In diesem Sinne sind Straßennamen Erinnerungsorte im öffentlichen Raum. Sie dienen der Sichtbarmachung und besonderen Hervorhebung vergangener Ereignisse und Menschen im kollektiven Gedächtnis, das wir als Gesellschaft teilen.
In Schöneberg erfahren eine solche Ehrung die Augsburger Handelsfamilien Fugger und Welser mit der Fugger- bzw. Welserstraße. Ab dem 14. Jahrhundert stiegen die beiden Handelshäuser, mittels Ausbeutung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeit, zu zwei der wohl einflussreichsten Handelsfamilien Europas auf. Heute sind ihnen in Deutschland insgesamt 22 Straßen gewidmet, was die Erinnerung an sie am Leben hält und sie als ehrwürdige und verdienstvolle Familien sichtbar macht. Was dabei nicht zu sehen ist, sind die kolonialen Verstrickungen beider Familien. Ab dem 16. Jahrhundert beteiligten sich die Fugger und Welser an den Anfängen der Kolonisierung, indem sie Expeditionen und Handelsfahrten finanzierten. So etablierten sie jeweils gewinnreiche Handelsbeziehungen zu europäischen Kolonialmächten, wie Spanien und Portugal, und wurden zu wichtigen Handelspartner*innen: Die Fugger vor allem für den Import von Edelmetallen, Perlen, Gewürzen und Juwelen und die Welser im Gewürz- sowie Zuckerhandel. Neben ihrer Bereicherung am Kolonialhandel waren beide Familien auch ganz konkret an der Ausbeutung von Menschen aus kolonialisierten Gebieten beteiligt. Beispielsweise wurden in von den Fuggern finanzierten spanischen Erzbergwerken Zwangsarbeiter*innen aus kolonialisierten Gebieten eingesetzt und auch die Welser zwangen verschleppte und versklavte Menschen auf Zuckerrohrplantagen für sich zu arbeiten. Darüber hinaus waren die Welser ab den 1520er Jahren als Hauptakteure an der Kolonialisierung Venezuelas beteiligt. Zunächst durch eine umfängliche Finanzierung des Vorhabens und später durch die aktive Verschleppung und den Verkauf tausender versklavter Personen. Sie profitierten von Venezuela als Handelsstützpunkt und bereicherten sich an der Ausbeutung von Natur und Menschen vor Ort.
Vor diesem Hintergrund ist es untragbar, die beiden Familien, die durch die Ausbeutung versklavter Menschen und natürlicher Ressourcen zu enormem Reichtum und Einfluss gekommen sind, weiterhin in unserem Stadtbild zu ehren.
Wer sich wesentlich besser für eine solche Ehrung eignet, sind Benedikt Gambé und Charlotte Rettig. Die beiden Schöneberger Künstler*innen lebten in der heutigen Fuggerstraße 20 und waren Opfer der tödlichen Rassenpolitik der Nazis. Gambé war als Schlagzeuger im Kunst- und Kulturbetrieb des Weimarer Berlins fest verankert und trat beispielsweise unter dem Künstlernamen James Dixon in Bars und Clubs auf. Rettig war einige Jahre jünger als Gambé und durfte bereits keine Berufsausbildung mehr beginnen. Denn mit der Machtübertragung an die Nazis und Durchsetzung der rassenideologisch begründeten Verfolgung Schwarzer Menschen, wurde beiden ein Berufsverbot erteilt. So waren sie gezwungen sich in der rassistischen „Deutschen Afrika-Schau“ in stereotypisierenden Rollen darzustellen. Während dies den beiden Künstler*innen kurzzeitig das Überleben ermöglichte, diente es den Nazis zur Verbildlichung und Verbreitung ihrer Kolonialpropaganda. In den 1940er Jahren starb Benedikt Gambé unter ungeklärten Umständen in den sogenannte Wahrendorffschen Kliniken in Niedersachsen. Charlotte Rettig floh nach Kopenhagen und überlebte dort. Seit August 2023 erinnern zwei Stolpersteine in der Fuggerstraße 20 an die beiden Schöneberger*innen.
Mit der Umbenennung der Fuggerstraße und der Welserstraße in Benedikt-Gambé-Straße und Charlotte-Rettig-Straße wird ein ehrenwerter Teil Schöneberger Geschichte sichtbar gemacht. Insbesondere die Erinnerung an Schwarze Opfer der Nazis ist bislang kaum in Deutschland etabliert, wobei der Umbenennungsprozess die Chance breiter gesellschaftlicher Aufklärung über diesen Teil deutscher Gewaltgeschichte birgt. Diese Aufklärung müsste Informationen über die deutsche Beteiligung am globalen Kolonialismus, die nationalsozialistische Rassenpolitik und ihre Folgen insbesondere für Schwarze Menschen sowie Kontinuitäten dieser Geschichte bis in die Gegenwart beinhalten. Außerdem sollte die Anwohner*innenschaft in den Prozess involviert und für die Bedeutung von Straßennamen sensibilisiert werden.
Deshalb fordern wir:
- die Umbenennung der Fuggerstraße und der Welserstraße in Benedikt-Gambé-Straße und Charlotte-Rettig-Straße.
- die Begleitung des Umbenennungsprozesses mit einem umfangreichen Bildungsprogramm.